Wild

Der Nicht-Jäger im Wald
Der Nicht-Jäger im Wald

Wäre ich vor 100 Jahren zur Welt gekommen, wäre ich jetzt wahrscheinlich schon tot. Vor 100 Jahren gab es keine Familienhunde "just for Fun", nein, damals mussten Hunde etwas leisten. Egal, ob den Hof bewachen, den Milchkarren ziehen, den Jäger unterstützen - wenn der Hund keine dieser Fähigkeiten zeigte, war es schnell aus mit dem Leben eines Hundes.

 

Nun, einen Hof muss ich nicht bewachen. Ich melde Mo und Reto aber schon, wenn wir Besuch bekommen. Mo findet das tiptop. Sie stört sich nicht, dass ich Belle, wenn jemand an der Türe steht. Dann wäre noch dieses Thema "Milchkarren" ziehen. Mo schliesst nicht aus, dass ich irgendwann so ein Gespann haben werde: Schaut mal! Und die Jagd?

 

Als sich Mo über Gropsspudel schlau machte, erzählten ihr viele Leute "Oouuuuu, da musst du aufpassen. Die Grossen können einen ganz schön argen Jagdtrieb haben". Was heisst Jagdtrieb? Ein unerwünschter Jagdtrieb bedeutet, dass ein Hund die Welt vergisst, sobald sich ein Tier in Sicht-, Hör- und/oder Schnubberweite befindet. Solche Hunde sprinten dann wie Jäger los und versuchen, dieses Tier zu stellen/fassen. Und der Grosspudel war vor 100 Jahren eben ein Hund, der in der Jagd eingesetzt wurde. Wir sollten damals den Jägern die geschossenen Enten aus dem Wasser holen.

 

Mo hat sich zu diesem Thema natürlich auch ihre Gedanken gemacht. Und deshalb ist sie mit mir, als ich noch sooooooo klein war, nach Bern ins Dählhölzli gefahren. Dort gibt es Gehege mit Rotwild und ich durfte als kleiner Wuzz den Duft des Rotwilds erschnubbern. Ich konnte mir auch die grossen Tiere anschauen und nach der ersten Aufregung am Gehege waren mir diese Tiere ja recht schnell sehr wurscht. Inzwischen hat Mo herausgefunden, dass sie nicht bis ins Dählhölzli fahren muss, damit ich im geschützten Rahmen Rotwild erschnubbern kann. Nö, gleich hier in Luterbach beim Wylihof gibt es ein riesiges Gehege mit Rotwild - und auch dort durfte ich schon das Rotwild erschnubbern.

 

Jetzt erzähle ich euch das ja nicht alles so zum Plausch. Nö, das Ganze hat einen Grund. In den letzten Tagen sind Mo und ich im Wald sehr vielen Wildtieren begegnet. Da Mo mit mir das "Freilaufen" und den "Rückruf" übt, hänge ich ja nicht an der Leine. Und in so einer Situation einem Reh begegnen....?! Ja, vor uns stand also letzens ein Reh - fröhlich ist es aus dem Gebüsch gehüpft und stand etwa 2 - 3 Meter vor uns auf dem Weg. Mo fand das Tier ja superschön, hat aber wegen mir leer geschluckt. Und was ist passiert? Ich fand das Tier wohl auch sehr schön, hab mich auf meinen Pobbes gesetzt, das Tier angeschaut und beobachtet, wie es auf der anderen Seite des Wegen im Wald verschwand.

 

Mo konnte nicht fassen, wie toll ich reagiert habe. Als wir dann weitergingen konnte ich noch den Duft des Rehs erschnubbern und dabei musste meine Nase ganz fest herumwackeln. Aber nö, ich habe keine Sekunde ein Anzeichen gegeben, dass ich das Reh verfolgen möchte. Mo war so happy. Tja, und dann passierte uns das praktisch gleiche nochmals ein paar Tage später.

 

Bin ich nicht eine coole Socke? Hätte ich vor 100 Jahren gelebt, wäre mein Herrchen wahrscheinlich enttäuscht von mir gewesen und es würde mich nicht mehr geben. Und heute? Mo ist sagenhaft stolz auf mich. Sie hat eine riesige Freude an mir und schätzt es sehr, dass ich so ein tolles Bürschchen bin und sie mich auch im Wald frei laufen lassen kann. Allerdings ist mein gepflegtes Benehmen dann kein Freifahrtschein, um in der Schonzeit ohne Leine durch den Wald zu hoppeln. In der Schonzeit gehört jeder Hund im Wald an die Leine - immer!